Reiseskizzen vom Äquator – mit dem Fahrrad durch Uganda
Reiseskizzen vom Äquator
von Jens Hübner / Februar 2012
Aus dem Gefrierschrank ins Gewächshaus
Als die Maschine von Frankfurt nach Amsterdam auf dem nächtlichen Rollfeld enteist ist und die dicken gelben Heizschläuche entfernt werden können, dürfen wir Passagiere durchgefroren den Zubringerbus verlassen, der Kälte und Dunkelheit entfliehen und die Gangway hinaufsteigen. Das Morgenrot setzt ein, als wir über Amsterdam zur Zwischenlandung ansetzen. Lastkähne ziehen durch das verzweigte Kanalsystem der Grachten. Die kahlen Blumenfelder sind von der leichten Puderzuckerschicht des Schnees überzogen. Sattelschlepper verschwinden winzig klein in den mehrstöckigen Gewächshäusern unter uns. „Heute Abend werde ich im größten Gewächshaus der Welt landen!“, denke ich bei mir und freue mich auf das tropische Uganda. Beim Aussteigen in Entebbe erwarte ich instinktiv, dass mir wiederum Kälte entgegenschlägt, obgleich mir natürlich klar ist, dass ich am Äquator bin. Jedoch kann ich mir sommerliche Temperaturen noch nicht so richtig vorstellen. Dass es hier nicht nur warm, sondern heiß ist, stelle ich wenige Minuten danach beim schweißtreibenden Zusammenbauen des Rades fest und ziehe mir das Hemd samt T-Shirt aus. Bereits im Gang zur Empfangshalle steigt mir sehr deutlich der Geruch Ugandas in die Nase und erinnert mich an den Geschmack des Nationalgerichtes Matoke – einer Art Stampfkartoffeln aus Kochbananen. Als ich nach Mitternacht endlich meine Packtaschen ins Hotelzimmer schmeiße, lassen sich die Kakerlaken bei ihrem Erkundungsgang auf dem Fußboden kaum stören. Zum Glück ist das Moskitonetz nicht allzu löchrig, fällt mir bei den umherschwirrenden Mücken ein. Der Barkeeper, der mir mein Gute-Nacht-Bier mit einem gehörigen Zuschlag für „Eben-Erst-Angekommenen-Weißen“ verkauft, wischt mit dem Handrücken ein Dutzend Ameisen von seinem Tresen. Mir wird wieder einmal klar, dass ich als Nordmensch so viel krabbelndes Getier nicht gewöhnt bin.
Im Dschungel
Ein Überlandbus bringt mich von der Hauptstadt in die Nähe des Ruwenzorigebirges, das Uganda vom Nachbarstaat Kongo trennt. Als man nach der Halbtagesreise mein Fahrrad wieder aus dem Bus zerrt, ist der nigelnagelneue Rahmen zerkratzt und auch der Sattel hat merklich gelitten. Afrika begrüßt mich gewohnt rau! Mit dem Matatu, einem Sammeltaxi, geht es auf der roten Lateritpiste in den Urwald. Lianen hängen von riesigen Bäumen, Paviane sitzen scheinbar gelangweilt am Straßenrand und wenden mir ihr blaues Hinterteil zu, bevor sie träge im Unterholz verschwinden.
Ich lasse mich in Nkingo, einem kleinen Dorf zwischen Bananenplantagen, absetzen. Hier beginnt meine Arbeit als Reiseleiter für den Berliner Veranstalter AFRIKA ERLEBEN. Zusammen mit einem einheimischen Guide führe ich eine neunköpfige Reisegruppe für etwa drei Wochen durch Uganda. Durch eine andere berufliche Verpflichtung in Deutschland komme ich leider erst nach den Teilnehmern der Tour im Land an. So ist die Gruppe schon ein paar Tage unterwegs und hat sich gut selbst organisiert. Für circa zwei Wochen geht es meist auf ausgewaschenen, staubigen Pisten oder über heißen Asphalt durch entlegene Handelsstützpunkte und durch das Verkehrsgewühl kleinerer Städte. Großblättrige Bananenplantagen wechseln sich mit saftig grünen Teeplantagen ab.
Ich freute mich sehr, als mich kurz vor der Tour einer meiner Sponsoren, der Fahrradhersteller Riese und Müller, anrief und mir anbot, einen neu entwickelten Rahmen in mein DELITE einzubauen. Gern willigte ich ein und so teste ich nun den sonnenblumengelben Untersatz auf den alltäglichen Wellblechpisten in den Tropen. Sofort gibt mir die Vollfederung auf den steilen, unasphaltierten Lateritstrecken ein absolut sicheres Gefühl. Das Fahrwerk gleicht dem eines Motorrades und ich überwinde spielend die härtesten Abschnitte. Für die sandigen Passagen, besonders wenn es steil bergauf geht, dreht die Straßenbereifung ab und an durch und der Klettergang der genialen Roloffschaltung kann sich dann nicht voll entfalten.
Wie immer beschränke ich mich auf ein absolutes Minimum an Gepäck. Zwei kleine Ortliebpacktaschen werden durch einen leichten Rucksack ergänzt, der meinen Laptop vor den extremsten Erschütterungen bewahrt. Auf den ersten Blick unlogisch habe ich meine beiden Packtaschen an das Vorderrad montiert. Wenn ich jedoch die Pisten im ersten Gang hinaufklettern muss, drückt das Gewicht das Vorderrad hinunter und gibt dem Reifen genügend Haftung. Außerdem habe ich so mein Hab und Gut immer im Auge und die ab und an hinterher rennenden Kinder sind nicht versucht, nach dem Gepäck zu greifen, wenn ich als Reiseleiter der Letzte der Gruppe bin.
„Thank you to see me!“
Wie für alle Afrikaner ist es auch für die Ugander recht unverständlich, warum Weiße sich mit dem Fahrrad durch ihr Land bewegen, wo sie sich doch auch leicht eine Autofahrt leisten könnten. Am Rande einer kleinen Handelsstation halte ich mit dem Rad am Pistenrand, um Nachzügler der Reisegruppe aufschließen zu lassen. Rasch scharren sich ein paar Männer, Frauen und Kinder um mich. Eine Frau tritt an mich heran. Selbstbewusst verschränkt die Korpulente ihre Arme vor der Brust. Mit wachen Augen betrachtet mich ein kleines Mädchen vor ihr. Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeitsfloskeln werde ich gefragt, ob es eine besondere Mission gibt, die uns Europäer auf den Zweirädern durch ihr Land führt. Da mir sehr oft diese Frage gestellt wird, hatte ich mir irgendwann eine kurze, schnell einleuchtende Standardfloskel zurechtgelegt und so antwortete ich auch jetzt. „We travel by bike to meet people like you.“ („Wir reisen per Rad, um Leute wie Euch zu treffen.“) So entwickelt sich ein Gespräch. Bald haben mich alle Tourenteilnehmer überholt und ich verabschiede mich von den Leuten. Das kleine Mädchen sieht mir zum Abschied in die Augen und sagt für alle hörbar: „Thank you to see me!“ („Danke, dass Du mich siehst!“) Im Gelächter der Umstehenden winke ich noch einmal, trete in die Pedalen und bin tief gerührt von dieser aus unbeholfenem Englisch entstandenen Zweideutigkeit des Kindes in einem afrikanischen Dorf.