Velotour Westafrika, Reisebericht zur Radtour Burkina Faso
Burkina Faso 30.11. – 20.12.2008
Den größten Teil des Fluges nach Ouaga verschlief ich erschöpft und bangte dem Augenblick entgegen, an dem es hieß, das Rad auszupacken und zusammen zu bauen. Das klappte erstaunlich gut. Nur beim Vorderrad benötigte ich ein bisschen Hilfe. Und dann ging es früh um halb vier Uhr hinter einem Taxi her in Richtung Hotel.
Wir sahen die Straße fegende Frauen in typisch afrikanischer Haltung – der Besenstil ist in Afrika noch nicht erfunden – spürten die Straße mehr als wir sie sahen und kamen tatsächlich an. Ganz selbstverständlich war um diese Uhrzeit jemand da, um uns zu empfangen und ein erstes Bier zu kredenzen. Was für ein Genuss!
Um sechs Uhr am Morgen gingen wir dann endlich ins Bett. Die Zimmer waren sauber und o.k. sogar mit Nasszelle – und meist lief auch das Wasser.
Montag, 1.12.2008, Ouagadougou
Am nächsten Vormittag, nach einem späten Frühstück, mussten wir erst einmal auf die Bank, wir brauchten ja Geld. Dabei lernten wir, dass man in Ouagadougou auch für Fahrräder Parkgebühren entrichten muss. Nach mehreren vergeblichen Versuchen unsere Räder irgendwo an den Rand zu quetschen und jeweils von neuen selbst ernannten Parkwächtern angehauen wurden, gaben wir schließlich entnervt auf. Die 100 CFA (15 Cent) sollten auch noch drin sein. Ruedi und Karin, die sich bereit erklärt hatte, die Gemeinschaftskasse zu führen, gingen auf die Bank um für alle zu wechseln. Witek und ich blieben bei den Rädern. Dabei lernten wir, dass Geldwechsel in Ouaga eine sehr anstrengende und zeitaufwändige Angelegenheit ist. Es dauerte rund eine Stunde in der Witek und ich den Wegelagerern ausgeliefert waren. Was gab es nicht alles zu kaufen. Unser Problem war, dass wir bei kein Französisch sprachen und den jungen Männern einfach nicht klar machen konnten, dass wir am Beginn einer Radreise keine Souvenirs kaufen würden, dass wir zum Radfahren kein Kleid benötigten und, und, und. Es war ganz klar, den anstrengenderen Teil dieser Aktion hatten wir erwischt. Inzwischen ging es auch schon gegen Mittag, die afrikanische Sonne brannte gnadenlos und der Schweiß lief in Strömen.
Am Nachmittag unternahmen wir einen kurzen Spaziergang auf den Markt. Es war brüllend heiß, schließlich waren wir ja auch noch nichts gewohnt. Um halb vier zogen wir uns erst einmal zu einer Siesta zurück und trafen uns dann zum Abendessen. Da keiner Lust auf irgendwelche Erkundungen hatte, fielen wir gleich in das nächste „Lokal“ ein. Ich nahm Poulet mit Knoblauch – mit den Fingern gegessen, sehr lecker. Nachdem uns die vergangene Nacht fehlte, gingen wir sehr früh ins Bett. Dabei stelle ich fest, dass mein Wecker – ich war die einzige, die einen dabei hatte – kaputt war. Der Stellzeiger für die Weckzeit hatte sich gelöst und schlabberte um die Achse. Ich schmiss ihn gleich mal in den Papierkorb.
Dienstag, 2.12.2008, Ouaga – Krokodilfarm, 70 Kilometer
Am nächsten Tag sollte es ernst werden. Eine Fahrt zu einem 35 Kilometer entfernten See mit Krokodilen war angesagt. Der Start verlief nicht so ganz planmäßig, Karins Ventil ließ Luft und mein Tacho reagierte nicht. Zum Glück war nichts defekt. Nur die Gummihalterungen hielten in der Hitze nicht stand, und so rutschte der Geber immer wieder aus seinem Bereich. Damit kämpfte ich noch ein paar Tage, bis ich per Tape dem bösen Spiel ein Ende bereitete. Und so gab es erst einmal eine Verzögerung. Es wurde eine schöne Fahrt auf einer Piste neben der befahrenen Teerstraße, was sehr angenehm war. Bei den Krokos angekommen, sollten wir außer dem Eintritt auch noch ein Hühnchen bezahlen. Eigentlich hatten wir darauf keine Lust, aber der Führer erklärte lakonisch: „Pas de poulet, pas de crocodile!“ Also bissen wir in den saueren Apfel, kauften ein Hühnchen und bedauerten es die ganze Zeit, was unser Führer absolut nicht verstehen konnte. Bei den Krokos angekommen tat sich erst einmal gar nichts. Sie lagen bewegungslos im See und am Strand schliefen mit weit geöffnetem Maul. Bis unser guide das Hühnchen warf. Mit unvorstellbarer Wucht und Geschwindigkeit schnellten die Kolosse hoch und schnappten nach dem Tier. Ein einziger Happs und alles war vorbei. Das Hühnchen hatte gar keine Zeit zu leiden.
Mit Einbruch der Dunkelheit kamen wir gegen halb sechs wieder am Hotel an. Für mich gab es eine kleine Überraschung. Aus der Dusche kam kein Wasser, also musste ich in meiner schönen Nasszelle mit Eimer und Schöpfkelle duschen. Es war nicht wirklich ein Problem. Abends gingen wir in ein von einem Belgier geführtes Speislokal das gleichzeitig als Galerie für Skulpturen diente.
Bevor ich ins Bett ging, holte ich erst noch mal den Wecker aus dem Papierkorb. Ich hatte die Idee, dass man den durch Probieren auch ohne Zeiger stellen kann. Siehe da, es funktionierte, wenn es sich auch etwas langwierig gestaltete. In den kommenden Wochen konnten mir meine Reisegenossen immer zuhören wie ich in mehreren Versuchen den Wecker auf die richtige Zeit einstellte. Erst gegen Ende der Reise kam ich dann auf die Idee, nicht die Weckzeit zu verstellen sondern die Uhrzeit. Auch das funktionierte.
Mittwoch, 3.12.2008, Fahrt zum Projekt in Laongo, 90 Kilometer
Das Projekt liegt ca. 45 Kilometern von Ouaga entfernt, das meiste davon ist auf der Teerstraße zu fahren. Es gibt zwar wenig Verkehr, aber der Asphalt ist recht rau und bietet jede Menge Rollwiederstand. Außerdem geht es überwiegend leicht bergauf und das auch noch bei Gegenwind.
Der Beginn bestand aus 15 Kilometern Stadtfahrt in Ouaga, das ist immer ein ganz besonderer Genuss. Die Mitte der Straße gehört den Autos, von denen es auch in Ouaga jede Menge gibt. Rechts und Links davon tummelt sich der Rest des Landes auf Zweirädern, Mopedfahrer und Radler. Sie bewegen sich sehr geschickt und ebenso chaotisch in alle Richtungen. Am schlimmsten waren für mich die jungen Frauen auf den Mopeds. Sie haben keinerlei Gespühr für Sicherheitsabstand und zischen so knapp vorbei, dass man meint sie rasieren einem die Haare von den Waden. Ansonsten gilt das Prinzip: Einer hat immer noch Platz, ganz egal ob man schon zu viert oder zu fünft nebeneinander fährt. Von rechts wird eingebogen, egal, ob da schon einer ist und dazwischen kommt einem auch noch einer auf der eigenen Spur entgegen. Man wünscht sich sehnlichst Facettenaugen einer Fliege, um das alles im Blick behalten zu können.
Doch irgendwann ist der Stadtrand erreicht und von Meter zu Meter wird das Chaos geringer, bis uns die Straße schließlich alleine gehört. Die letzten zehn Kilometer gings dann auf eine Piste, die angenehmer zu fahren war.
Endlich war das „Projekt“ erreicht. Dabei handelt es sich um ein mit Steinen und Felsbrocken übersätes Feld auf das seit etwa zehn Jahren Künstler aus aller Welt eingeladen werden, die dann nach Lust und Laune Skulpturen schaffen. Es gab viele Objekte, die es eigentlich wert gewesen wären, dass man sie genauer anschaut und sich gedanklich mit ihnen auseinandergesetzt hätte. Es war jedoch so heiß, dass mein einziger Gedanke war: Wo ist der nächste Schatten spendende Baum.
Allzu lange hielten wir es nicht aus, letztlich auch wegen der 45 Kilometer die noch zu bewältigen waren, wenn auch diesmal mehr bergab. Gegen vier Uhr ließ die Hitze spürbar nach und nach einer Pause in einem Dorf unterwegs, wo wir uns einen gegrillten Fisch zu Gemüte führten, bekamen wir neue Luft unter ihre Flügel und mit einbrechender Dunkelheit erreichten wir den Stadtrand.
Da gab es dann für mich den Höhepunkt des Tages. Es standen wieder 15 Kilometer Chaos an, diesmal in der Dunkelheit. Nicht einmal mittags habe ich so geschwitzt wie auf diesem Stück der Fahrt. Auch für Ruedi war es nicht so ganz einfach. Immer, wenn er an einer Ampel nach seinen Schäfchen Ausschau hielt, blickte er in ein Heer von Radfahrern, von denen jeder jeder sein konnte. Doch dann war auch das geschafft. Hundemüde fielen wir in die nächste Bude ein und aßen „riz sauce“, ein in Burkina allgegenwärtiges und meist geschmackloses Gericht.
Donnerstag, 4.12.2008, Fahrt mit dem Bus nach Bobo Dioulasso, 360 Kilometer
Heute können wir es erst einmal gemütlich angehen lassen, bevor wir uns wieder ins Verkehrsgetümmel stürzen, um zum Busbahnhof zu radeln. Natürlich war es wieder das schon gewohnte Chaos, allerdings nicht gar so lange. Dort müssen wir auf Anweisung der Offiziellen (woran erkennt man die eigentlich???) die Räder demontieren und entgeistert zuschauen wie die Resträder in den Gepäckfächern verstaut werden. Drücken, stoßen, treten sind die gängigen Packmethoden. Es gilt das Motto: Ein Sack Kartoffeln hat allemal noch Platz. Unsere Räder, und wir mit ihnen, leiden.
Nun heißt es sich geistig auf die lange Fahrt einzustimmen. Es gibt unterwegs keine Pinkelpausen, und nur eine kurze Rast in Boromo, etwa auf der Hälfte der Strecke, etwa zehn Minuten. Der Busfahrer wartet nicht, warnt uns Ruedi, er hupt einmal und dann fährt er ab.
Na schön, also nichts mehr trinken!
Zum Glück haben wir nummerierte Plätze, sonst sähe es schlecht für uns aus, denn unsere Miteisenden schieben und drängeln, dass es nur so eine Art hat. Ebenfalls zum Glück ist der Bus klimatisiert. Das allerdings so stark, dass alle anfangen zu frieren. Ruedis Düse lässt sich nicht verstellen und er zieht sich erst einmal noch ein Shirt an, dann gebe ich ihm die von der Air Maroc entliehene Decke und als das immer noch nicht reicht, versuche ich es mit Hausfrauentechnik und verstopfe die Düse mit geknüllten Tempos. Die Erleichterung ist riesengroß, allerdings nur für wenige Augenblicke. Wie ein Schatten taucht einer der „Schaffner (woran erkennt man die eigentlich???) und erklärt kurz und bündig „Interdit“. Also ist weiterfrieren angesagt.
Ansonsten ist die Fahrt wesentlich kurzweiliger als befürchtet. Ich kann mich gar nicht sattsehen an der sich langsam verändernden Landschaft, die immer grüner wird. Es sind alle Eindrücke vorhanden, die ich unter „afrikanischen Bildern“ verstehe. Kuh- und Eselherden , viele Wasserlöcher, Frauen mit Kopflasten oder Hirse stampfend, Dörfer mit Bougainvilleas – einfach schön.
Nach rund fünf ein halb Stunden kommen wir in Bobo Dioulasso an. Die Spannung steigt. In welchem Zustand werden wir unsere Räder bekommen? Unsere Angst war weitgehend unbegründet, außer verbogenen Schutzblechen ist noch alles dran – kaum zu glauben. Also rasch wieder zusammen bauen und dann ins Hotel fahren.
Nach unserem Ankunftsdrink verschwindet Ruedi erst einmal um Geld von der Bank zu holen. Wir sind derweilen wieder einmal den Wegelagerern aus geliefert. In diesem Hotel haben sie sehr zu unserem Ärger Zutritt. Da tauchen vor allem „Reiseführer“ auf. Der eine überreicht uns ein Zertifikat, das ihm bescheinigt, dass er einen Kurs absolviert hat in dem er gelernt hat, wie man Kunden anspricht. Der andere erklärt uns, dass die Hippos aus Tengrela abgewandert sind weil zu wenig Wasser im See ist. Aber er wisse, wo sie sich jetzt aufhalten. Der nächste kennt Ruedi schon und behauptet, dass er bereits erwartet wird. Ein weiterer legt sein Referenzbuch vor, in dem in allen Sprachen des Erdballes sicherlich nur positive Beurteilungen nachzulesen wären, würde man denn die Sprache verstehen. Langweilig ist uns jedenfalls nicht.
Und dann kommt Ruedi zurück, mit langem Gesicht. Wie auch schon in Ouaga funktioniert die Kontoverbindung nicht. Da wir noch zwei Tage in Bobo sein werden, hofft er darauf, doch noch an Geld zu kommen. Wir machen uns da keine Sorgen.
Das Hotel ist von der Anlage her sehr schön, die Zimmer sind recht eigenwillig konzipiert aber sauber und akzeptabel. Erste Moskitos!!! Das veranlasst mich als erstes das Moskitonetz zu inspizieren die vorhandene Löcher zu tapen. Außerdem repariere ich wieder einmal die Klospülung. Es ist schon faszinierend. Eines der größten Probleme in Burkina ist der Wassermangel, aber überall rauscht die Wasserspülung ohne Unterlass.
Abends gehen wir in eine Garküche am Bahnhof und essen Fisch mit „riz sauce“. Na, ja. Nach einem Bummel durch die abendliche Stadt nehmen wir noch ein letztes Bierchen in einem Straßenlokal und fallen mit müden Augen ins Bett.
Im Vergleich zu Ouaga wirkt Bobo wie eine Kleinstadt, die auf den ersten Blick nur aus Markt zu bestehen scheint. Die Leute sind so freundlich und nett, dass wir am nächsten Morgen sogar alleine zum Einkaufen gehen. Witek kann der Avokadoverkäuferin sogar noch ein Foto entlocken. Wir haben viel Spaß miteinander. Ruedi dreht derweilen wieder seine Bankrunde – trotz vieler Hoffnungen wieder vergeblich. Die einen Banken akzeptieren die Karte nicht, bei der anderen ist gerade das Netz zusammengebrochen und bei wieder einer anderen ist leider der Tresor leer. Ruedi berichtet, dass er vor Bank mit dem unterbrochen Netz drei Franzosen getroffen hat, die schon seit drei Tagen festsitzen und darauf warten, dass es endlich wieder Geld gibt. Das sind trübe Aussichten, denn da wo wir hinfahren gibt es keinerlei Möglichkeiten mehr, an Geld zu kommen. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag. Da will ich es mit der EC-Karte versuchen.
Freitag, 5.12.2008, Bobo – Dafra, 20 Kilometer
Heute ist ein Besuch beim Fetisch in Dafra dran. Also geht es aus Bobo heraus auf eine Piste. Im ersten Dorf schließt sich uns ein selbsternannter Führer an. Da wir ohnehin einen benötigen, ist es gerade recht. Erst fahren wir noch ein Stück und lassen dann in einem kleinen Dorf unsere Räder stehen. Dort sollten wir wieder einmal ein Hühnchen kaufen, um es dem Fetisch zu opfern. Da wir uns weigern – die Viecher tun uns einfach leid und außerdem haben wir keine Lust, beim Schlachten zuzusehen, wird uns bedeutet, dass wir dann beim Fetischeur bezahlen müssen. Damit sind wir einverstanden. Dann gehen wir mehr oder weniger steil hinunter. Wir kommen an einem bewässerten Gemüsegarten vorbei, in dem Bohnen, Zuccini, Tomaten, Bananen … wachsen und gedeihen. Dann wird die Landschaft immer bizarrer und irgendwie mystisch. Durch Schläge an einen Baumstamm werden wir angemeldet. In der nächsten Kurve müssen wir die Schuhe ausziehen, dem Fetisch nähert man sich nur barfuß. Außerdem muss alles Rote an der Kleidung verschwinden, denn der Fetisch mag kein Rot. Da uns Ruedi schon vor der Abfahrt vorgewarnt hatte, sind es nur marginale Dinge, z. B. meine Radhandschuhe, die einen roten Streifen haben. Unser Führer zieht sogar sein Shirt verkehrt herum an, weil es eine rote Biese hat. Als ich meine Socken ausziehen will, fällt mir siedend heiß ein, dass ich rot lackierte Fußnägel habe. Zum Glück darf ich meine Socken anbehalten – sicherlich ein Zugeständnis an mein Alter.
Nun wird es allmählich ganz feierlich und fotografieren ist selbstverständlich streng verboten! Wir nähern uns einer Grotte an deren Ende ein kleiner Wasserfall rauscht und in Rinnsalen durch das Felsplateau abfließt. Es brennen mehrere Feuer, überall lungern einzelne Männer oder kleine Gruppen auf dem Boden, sie scheinen (be)trunken oder anderweitig berauscht, es herrscht eine feierlich Stille. Der Boden ist mit Hühnerfedern, Innereien und Knochen bedeckt. Ich bin recht froh, dass ich meine Socken anhabe und versuche möglichst nirgendwo reinzutreten. So nähern wir uns dem Fetisch wo uns der Zeremonienmeister schon erwartet. Zunächst einmal wird sehr unfeierlich gefeilscht, was wir bezahlen müssen, nachdem wir ja kein Hühnchen dabei haben. Dann reicht uns der Fetischeur eine Schale, in die wir unseren Obolus hineinlegen. Jeder muss die Schale in die Hände nehmen und laut (!) aussprechen was er sich vom Fetisch wünscht. Unser Führer wünscht sich zum Beispiel ein Kind. Wir halten uns da ein bisschen zurück und wünschen uns fast gleichlautend einen guten Verlauf unserer Reise. Dann übernimmt der Fetischeur die Schale, streut Asche über das Geld, spricht seinerseits Gebete und kippt alles in eine kleine Mulde, die wir nicht einsehen können. Ich gehe mal davon aus, dass das Geld nicht da drin bleibt. Ist auch besser so.
Ob man nun an Geister glaubt oder nicht, irgendwie war das Ganze schon ein wenig berührend. Aber wir waren noch nicht am Ende des feierlichen Aktes. Wir mussten Brot aus unserem Proviant holen und damit riesengroße, fette Welse füttern die in einer Gumpe unterhalb der Fetischgrotte herumschwammen und gierig alles verschlangen.
Erst jetzt durften wir uns auf den Rückweg machen. In sengender Hitze ging es mehr oder weniger steil wieder nach oben. Für mich gab es einige ganz schön hohe Stufen zu überwinden. Unterwegs trafen wir auf einen Lagerplatz von Frauen, die dort von ihrer anstrengenden Arbeit Rast machten und kleine Snacks – Süßkartoffeln und Bohnenbällchen – brutzelten. Auf dem Kopf tragen sie aus dem benachbarten Tal Holz herbei und bringen es bis auf die Anhöhe, wo es dann auf Eselkarren umgeladen und von den Männern in die Dörfer gebracht wird. Wir nutzten die Gelegenheit und machten auch eine kleine Mittagspause und kosteten die leckeren Kleinigkeiten. Unter viel Zieren und noch mehr Gelächter luchsten wir den Frauen sogar ein paar Fotos ab.
Da die Hitze schier unerträglich und der Weg recht steil war, suchten wir uns unseren obligatorischen Mangobaum für eine Rast im kühlen Schatten. Der Frieden wird überlagert von der Uneinigkeit über den Lohn für den Führer. Er will 1000 CFA pro Person, während Ruedi nur 1000 CFA für alle zahlen will. Was zunächst unauflösbar erscheint, klärt sich dann im Dorf, in dem der Führer zu Hause ist, in Wohlgefallen auf. Er nimmt den von Ruedi angebotenen Lohn und entschwindet, offensichtlich zufrieden.
Zurück in Bobo beginnen wir wieder mit der Bankenralley. Doch es hat sich nichts geändert. Das Netz ist immer noch unterbrochen und der Tresor ist immer noch leer. Auch mit meiner EC-Karte mache ich keinen Stich. Der Automat akzeptiert die Karte zwar, aber als ich Geld anfordere, steigt er aus. Kurz entschlossen machen Karin, Witek und Ich Kassensturz und überlassen Ruedi unsere eisernen Reserven. Das dürfte reichen, um die anstehenden Unterkunftskosten zu bestreiten.
Trotzdem machen wir uns frohen Mutes auf ins „Bamboo“, einem Lokal mit Lifemusik, wo wir uns einen vergnügten Abend machen wollen. Das Essen ist zwar lecker, aber für burkinische Verhältnisse sehr knapp bemessen. Die Lifemusik erleben wir leider nicht mehr, da wir um zehn Uhr, als es endlich losgehen soll, todmüde die Segel streichen und ins Bett gehen.
Samstag, 6.12.2008 Fahrt Bobo – Orodara 77 km
Schon nach ca. 13 Kilometern kommt der erste Stopp. Das Touristendorf Kou soll besichtigt werden. Dieses Dorf wird staatlich gefördert. Dafür dürfen Touristen in jeden Winkel schauen und sogar fotografieren, was natürlich neben dem Eintritt Geld kostet. Von Anfang an fühle ich mich in diesem Dorf nicht wohl. Es herrscht eine eher leblose, angespannte Atmosphäre. Dann kommt es auch noch zu einem Eklat. Ein alter Mann – offensichtlich kommt er mit dem Status des Dorfes nicht zurecht – kommt laut schimpfend auf unsere Gruppe zu und beschwert sich, dass Witek seinen Fetisch fotografiert. Das wiederum will sich unser Führer nicht gefallen lassen und betont, dass dafür ja bezahlt worden sei und beschimpft den Meckerer als „Fou“. Dieser wird handgreiflich und es entsteht ein Gestoße und Gerangel, bis sich – ganz erstaunlich für afrikanische Verhältnisse – zwei alte Frauen einmischen und die Streithähne trennen. Insgesamt steigert das unser Wohlbefinden nicht, obwohl der Führer sich redlich bemüht, und uns den Aufbau und die Lebensweise im Dorf ausführlich erklärt.
Wieder der Straße begrüßt uns der Kilometerstein „Orodara 65 Kilometer“. Da es schon elf Uhr ist, schwant mir Schreckliches.
Es ist eine landschaftlich sehr schöne Strecke, auf Asphalt, aber anstrengend, zumal ich den Eindruck habe, unser Ziel liegt mal wieder auf dem Berg. Das ist zwar nicht wahr, aber das ewige auf und ab macht mich einfach mürbe. Nach einer recht heißen Pause am Straßenrand, bei der wir sogar von einem vorbei fahrenden freundlichen Autofahrer gefragt werden, ob wir Hilfe brauchen, kämpfen wir uns wieder weiter. Kaum wird es merklich kühler und damit auch angenehmer, werden auch schon wieder die Schatten länger und künden schon den nahenden Abend an. Noch rund zehn Kilometer, die letzten Steigungen und wir haben das Ziel, das Hotel Prestige erreicht.
Da es etwas außerhalb liegt, müssen wir zum Abendessen hinunter ins Dorf. Dort ist es quirlig und lebendig. An einem Grill wird gegrilltes Zicklein angeboten und mir läuft schon das Wasser im Munde zusammen. Doch Karin und Witek setzen sich durch, die es nicht so mit Fleisch haben. So gehen wir in ein anderes Lokal – Meteor, das beste Haus am Ort – und essen mal wieder „riz sauce“. Schon bei den ersten Bissen merke ich, dass es so komisch zwischen den Zähnen knirscht. Ich sage erst mal nichts. Doch auch bei den anderen regen sich Zweifel. Da fällt uns eine Begebenheit vom Markt aus den vergangenen Tagen ein. Neben Gemüse, Obst, Raupen usw. stand da auch ein Korb mit Steinen. Ich tippte erst einmal auf Bimsstein, wurde jedoch von Witek korrigiert, der anhand von anhaftenden Mörtelfugen und Fliesenresten eindeutig Ytong erkannte. Als wir darüber rätselten, was diese Steine wohl auf dem Lebensmittelmarkt zu suchen hätten, klärte uns Ruedi auf. Steine werden fein gerieben und unter das Essen gemischt, dann sättigt es schneller und hält länger vor. Guten Appetit!
Dafür konnte ich mich dann am Nächsten Abend mit Zicklein durchsetzen. Es wird wie meist hier mit den Fingern gegessen und für diesen Zweck vom Küchenchef in hand- und mundgerechte Happen gehackt. Super!!!
Sonntag, 7.12. 2008 Orodara – Moussoudougou, 41 Kilometer
Eingedenk der Hitze vom Vortag, fahren wir sehr früh noch ohne Frühstück los und halten erst im Dorf nach einer Cafe-Bar Ausschau. Ein junger Schwarzer kann uns Frühstück machen. Erst muss er jedoch erst über den Markt laufen und Eier besorgen, denn acht Eier, so viele besitzt hier keiner. Wir können zuschauen, wie unser Omelette entsteht. Immerhin hat er einen selbst entzündenden Gaskocher, das ist schon sehr fortschrittlich. Er kippt Öl in die Pfanne – mit dieser Menge würde ich mindestens eine Woche lang alle Essen zubereiten – kleppert zwei Eier und kippt die Masse in das Öl. Es zischt und schäumt auf, schaut eigentlich gut aus. Dann verteilt der das ganze in einem Baguette und wir können essen. Das Öl tropft nur so aus dem Brot heraus, leider nicht genug, denn das Gros des Fettes essen wir natürlich. Ich bin nicht überrascht, als ich am nächsten Tag Durchfall habe.
Gleich bei der Ausfahrt aus dem Ort kommen wir an einer Kirche vorbei, in der Choralgesang davon kündet, dass eine Messe stattfindet. Karin und ich halten sofort an, die Männer folgen zögernd. Wir gehen hinein und nehmen einige Zeit am Gottesdienst teil. Es ist sehr feierlich und bin ganz gerührt. Beim Hinausgehen beobachte ich, dass auch Karin sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augen wischt.
Aber dann geht es richtig los. Eine wunderschöne Sandpiste durch Mahagonialleen. Unterwegs mehrere kleine Dörfer am Wegrand, Kornspeicher auf Stelzen, die mich an die Wichtelwohnungen in meinen Kinderbüchern erinnern, viele fröhliche und rufende Kinder, freundliche Menschen. Alle sind schon aufgeregt, denn morgen ist Tabaski-Fest, für Muslime das Ende der Fastenzeit, doch auch die Christen und Animisten feiern mit.
Das bekommen wir besonders zu spüren als wir in Moussoudougou ankommen. Während die Frauen kochen, die Männer schlachten und andere Vorbereitungen treffen, sind die Mädchen vor allem damit beschäftigt sich die Haare frisieren zu lassen. Alle Frisörläden sind geöffnet und dicht umlagert. Da werden Glatthaarperücken auf den Kopf genäht, kunstvolle Zöpfe geflochten und drapiert und Perlen, Muscheln und Plastikfiguren ins Haar geknotet usw. Es ist ein unendlicher Aufwand und kostet unendlich viel Zeit.
Ruedi hat Fotos aus dem vergangenen Jahr dabei. Als er sie zeigt und die abgebildeten Personen sucht, ist das Hallo groß. Die Mädchen erkennen die Abgebildeten und in Windeseile sind die Betroffenen gefunden, die nun ihrerseits, das Foto wie eine Trophäe schwenken und im Dorf herumzeigen. Sofort steigt auch die Bereitschaft, sich selbst fotografieren zu lassen deutlich. Insgesamt sind die Jüngeren diesbezüglich ohnehin aufgeschlossener. Sie wissen, dass man ihnen nichts wegnimmt, wenn man sie ablichtet. Schon melden sich die ersten, die auch ein Foto von sich haben wollen, unter anderem eine junge Mutter mit ihrem Kind.
Im ganzen Dorf ist Markttreiben. Wir nutzen die Gelegenheit, und kaufen uns auf dem lebhaften Markt gegrillten Fisch, der wie üblich in einen Fetzten eines Zementsacks gewickelt wird.
So gestärkt machen wir uns wieder auf den Heimweg. Natürlich gibt es wieder eine Pause unter einem Mangobaum und ein Dorf, in dem es eine kalte Coka gibt, finden wir auch. Dort werden wir nach und nach von der Dorfjugend begrüßt, aber auch von den Honoratioren. Es ist immer eine große Ehre für die Menschen, wenn Touristen, sprich Weiße, sie besuchen. Die größte Freude kann man Ihnen machen, wenn man ihnen sagt, dass Burkina Faso ein schönes Land ist und die Menschen freundlich sind. Dann bedanken sie sich herzlich. Nun – das fällt uns nicht schwer – denn so erleben wir es.
Ein etwa zwölfjähriger Junge fällt uns auf, der uns zur Begrüßung erst einmal etwas zur laut tönenden Musik vortanzt und dann zu einem angeregten Gespräch näher tritt. Er weiß um die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen seines Landes, die Geschichte der Seefahrt aber auch um die Sklaverei, die er uns gleich anklagend vorwirft. Und dann verblüfft er uns mit der Frage, wie es denn möglich sei, dass sein Präsident uns erlaub ins Land zu kommen, während unser Präsident dies umgekehrt für Burkiner nicht gestattet. Er hat wohl viel gelernt in der Schule und hätte eine echte Chance, es einmal weiter zu bringen. Nachdenklich fahren wir weiter.
Montag, 8.12.2008 Orodara – Sindou, 75 Kilometer
Von Sindou hatte uns Ruedi schon von Anfang an erzählt. Dort gibt es ein Projekt, das ihn überzeugt hat und ihm sehr am Herzen liegt, die „Association Terre des Enfants“. Sie kümmert sich um verwaiste und verstoßene Kinder, bringt sie bei Verwandten unter, sorgt für Nahrung und Kleidung und sichert den Schulbesuch. Außerdem sind noch weitere Vorhaben in Vorbereitung: eine Wasserleitung zur Schule, die Elektrifizierung der Schule, die Einrichtung einer Bibliothek und nicht zuletzt auch ein Campement, um den Tourismus zu stärken.
Unterwegs kommen wir an vielen Dörfern vorbei, Kinder jubeln und laufen uns nach. Die Erwachsenen sind teils zurückhaltend, teils sehr freundlich. Da wir durch viele Alleen fahren ist die Hitze einigermaßen erträglich. Die Piste ist teils sandig, es geht fleißig auf und ab. Insgesamt ist es mal wieder ordentlich anstrengend. Im Campement angekommen beziehen wir unsere Rundhütten; die ersten nach den bisherigen Hotels. Ich fühle mich gleich wie zu Hause. Es gibt zwar keinen Strom aber eine Nasszelle mit Toilette in der Hütte. Nach wenigen Minuten kommen Tiémoko, der Fetischeur des Dorfes und Suleymane ein Lehrer der Schule. Sie waren auf unser Kommen vorbereitet und ab sofort müssen wir uns um nichts kümmern. Alles wird für uns geregelt. Beim Essen im Dorf entsteht eine angeregte Unterhaltung über die Association, die Lebensbedingungen und natürlich die Schule. Ruedi übersetzt unermüdlich und so geschickt, dass wir wirklich teilhaben können an dem Gespräch.
Am nächsten Morgen wollen wir mit Tiémoko das Dorf und die Schule anschauen, sogar dem Unterricht dürfen wir beiwohnen. Da bin ich natürlich besonders gespannt. Doch es kommt anders. Als wir zum Frühstück (wie immer Nescafe und Omelette in Baguette) ins Dorf kommen, erfahren wir, dass im ganzen Land gestreikt wird, da vor etwa acht Jahren der Chauffeur eines Regierungsmitgliedes ermordet wurde und obwohl alle wissen, wer der Mörder ist, die Regierung nichts unternimmt, ihn dingfest zu machen(!). Suleymane hat daher alle Kinder die gekommen waren wieder nach Hause geschickt. Aber die Schule können wir trotzdem besichtigen.
Die Schule hat rund 800 Kinder in 14 Klassen, wobei einige Klassen von über 100 Kindern besucht werden. Dann gibt es noch eine kleine Kantine, aber Essen gibt es nicht. Es stehen vier Latrinen zur Verfügung, aber es gibt kein fließendes Wasser. Das Schönste ist der weitläufige, dank der vielen Mangobäume schattige Schulhof. Dort findet auch jeden Morgen ein Appell mit Fahnenzeremonie, der Sportunterricht sowie der „Gruppenunterricht“ statt. Die „Gruppenräume“ bestehen aus Steinkreisen im Freien. Das Klassenzimmer das wir anschauen, erinnert mich mit seinem Mobiliar an meine eigene Schulzeit. Aber ansonsten bin ich positiv überrascht. An der Wand ist ein klar strukturierter Lehrplan ausgehängt, und eine Additionstafel hilft den Kindern Analogien in den einzelnen Zehnern herzuleiten. Außerdem gibt es noch Verhaltensregeln, die an den Nationalstolz eines Burkinabe appellieren. Suleymane zeigt mir sein Vorbereitungsbuch, penibel und sehr sauber geführt, und täglich vom Schulinspektor kontrolliert und abgezeichnet. Die verwendeten Schulbücher stammen aus Frankreich. Wenn man von den erbärmlichen äußeren Bedingungen absieht, eine recht überzeugende Angelegenheit.
Die Association bietet in der Person von Tiémoko noch eine Art Nachhilfeunterricht an, bei dem Kinder, die zu Hause keine Möglichkeit haben zu arbeiten und keine Unterstützung erhalten, die Hausaufgaben zu machen oder nicht Verstandenes nachzuarbeiten. Dazu hat er an seinem Haus eine große Tafel montiert. Da das Dorf derzeit keinen Strom hat, hat er sogar noch ein Extrahaus gebaut, in dem die Kinder übernachten können, wenn es beim Lernen mal wieder dunkel geworden ist. Allmählich kann ich verstehen, warum Ruedi von dem Projekt so angetan ist.
Anschließend wandern wir unter Tiémokos Führung durch die verschiedenen Quartiere des Dorfes. Sehr anschaulich erklärt uns Tiémoko von den Traditionen und Lebensgewohnheiten der Menschen, die noch vollständig in ihren Familien- und Stammesverbänden leben. Wir lernen viel.
Nach der Siesta treffen wir uns wieder im Dorf, wo wir den Maskentänzen anlässlich einer Initiationsfeier für die „Noblen“ teilnehmen dürfen. Aus dem Bemühen von Tiémoko, uns immer in seiner Nähe zu haben und den skeptischen Blicken der Einwohner, wenn das einmal nicht der Fall ist, entnehmen wir, dass wir das eigentlich als Fremde nicht erleben dürften. Nur die herausragende Stellung Tiémokos im Dorf ermöglicht uns das. Leider, aber auch verständlicherweise, ist das Fotografieren während der Zeremonien verboten. Die Jungen Männer, die im Alter von 14 bis 20 Jahren alljährlich den Initiationsritus durchlaufen, kommen, begleitet von Trommelrhythmen ins Dorf gezogen und führen in jedem Quartier (Bauern, Griots, Schmiede, Noble, Subnoble …) ihre Tänze auf. Dabei werden sie von wilden Masken begleitet, die den Rhythmus vorgeben und das Publikum in Schach halten. Gemeinsam ziehen alle Dorfbewohner von Quartier zu Quartier und wohnen gebannt der Zeremonie bei. So geht es stundenlang, ohne dass die Tänzer Ermüdungserscheinungen zeigen würden. Noch die halbe Nacht hören wir, mal näher mal weiter entfernt, die Trommeln schlagen.
Für die Kinder ist es erst eine Mutprobe und dann eine erstrebenswerte Auszeichnung, bei einem Weißen an der Hand zu gehen. Sie kämpfen mit teilweise handgreiflichen Methoden darum, ein Stückchen „Weiß“ in der Hand zu halten. Schließlich spreizen wir unsere Finger, damit mehr Kinder an einer Hand ihren Platz finden. Für mich ist es ganz tröstlich zu erleben, dass auch afrikanische Buben und Mädchen, die wir sonst nur winkend und jubelnd erleben, ebensolche Rotzlöffel sind, wie unsere. Auffallend ist jedoch, dass nur wenig ältere Kinder die Jüngeren zur Ordnung rufen und tatsächlich auch Erfolg damit haben.
Mittwoch, 10.12.2008 Sindou
Als wir ins Dorf gehen, gibt es mal wieder eine Überraschung. Schon von weitem hören wir eindeutig Marschmusik, grässlich laut und grässlich verzerrt durch die übersteuerten Lautsprecher, die wir zunächst nicht einordnen können. Beim Näherkommen sehen wir auf der Hauptstraße einen Block von rund 50 Männern und etwas getrennt, einen von 20-30 Frauen, die unter Aufsicht von mehreren Soldaten das Marschieren üben. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie recht lustlos marschieren, aber vielleicht täusche ich mich ja auch. Suleymane, der wegen des noch andauernden Streiks wieder Zeit für uns hat, erklärt uns. Am 12. Dezember ist anlässlich der Unabhängigkeit Burkina Fasos Nationalfeiertag. Und zu diesem Anlass gehen Abordnungen aus allen Dörfern in die Regionalhauptstatt um bei einem Aufmarsch teilzunehmen. Dafür wird heute geübt.
Zum Frühstück gibt es heute nur trockenes Baguette. Eier waren wohl nicht aufzutreiben. Wir gehen nochmals durch das Dorf. Inzwischen sind wir schon hinreichend bekannt und auch wir erkennen „unsere“ Kinder vom Abend zuvor wieder. Außerdem besichtigen wir noch die Bibliothek, ein weiteres Projekt der Association. Sie wurde durch internationale Gelder ermöglicht und wird im Januar eröffnet. Natürlich sind alle Bücher in französischer Sprache, überwiegend Schulbücher und Lexika. Die Kommune hat zum 1. Januar einen Bibliothekar eingestellt und sich verpflichtet, noch den Strom einzurichten – wenn es denn wieder einmal einen Transformator gibt.
Das ist auch so eine Geschichte für sich. Im Laufe unseres Aufenthaltes bekommen wir mehrere Versionen zu hören. Tatsache ist, der alte Transformator ist bei einem Gewitter vom Blitz getroffen worden und auf den neuen wartet man bisher vergeblich. Das Pikante daran ist, dass in den Vortransformatorzeiten viele im Dorf ein Notstromaggregat besaßen. Als jedoch der Strom ins Dorf kam, haben sie es teuer in die Nachbardörfer verkauf. So sitzen sie halt jetzt im Dunkeln.
Am Nachmittag ist ein Ausflug in die Pics de Sindou vorgesehen. Wieder wird uns Tiémoko führen.
Die Pics de Sindou oder Aiguilles de Sindou sind eine Formation steiler Sandsteinfelsen und eine der bedeutendsten Touristenattraktionen im Südwesten Burkina Fasos. Sie liegen östlich der Stadt Sindou in der Provinz Leraba. Die Vielfalt an Lebensräumen macht sie auch bedeutend für die biologische Vielfalt der Region. In der abklingenden Mittagshitze machen wir uns auf den Weg und ganz langsam tauchen die Pics vor uns auf und entwickeln sich zu einem eindrucksvollen Felsmassiv, das wohl zu einer geologischen Abbruchkante gehört, die sich durch weite Teile Afrikas zieht. Hierher flüchteten einst die Bewohner in Kriegszeiten und errichteten auf der von den Felsen eingeschlossenen Hochebene ein ganzes Dorf.
Wir genießen den wunderbare Aussicht und den Frieden den dieser Ort ausstrahlt. Jeder sucht sich seinen eigenen Felsen und bleibt einmal ganz bei sich. Ein schöner Ausklang des Ausflugs.
Zum Abendessen gibt es zur Abwechslung Bohnen mit Soße, sehr viel, sehr sättigend und einigermaßen schmackhaft. Eine lange Abschlussrunde mit kühlem Bier im Campement, bei der wir unsere Eindrücke austauschen und sortieren, beendet unseren ersten Aufenthalt in Sindou.
Donnerstag, 11.12.2008 Sindou – Niansogoni, 41 Kilometer
Auf wunderschöner aber teils sandiger Piste geht es im Schatten von Mahagonibäumen zum westlichsten Punkt unserer Reise, fast an der malischen Grenze, nach Niansogoni.
Bereits Mittag sind wir dort und werden gleich einmal von sämtlichen Honoratioren begrüßt. Das Campement ist ganz neu, die Rundhütten so klein, dass gerade das Bett Platz hat, fließend Wasser gibt es keines, aber die Atmosphäre ist gemütlich und freundlich.
Der Wirt setzt sich zu uns und natürlich tauchen wieder viele neugierige Kinder auf. Die größeren trollen sich nach einiger Zeit wieder oder sind eingeteilt zum Wasser holen, damit wir am Abend duschen können. Die Kleinen schlafen zu unseren Füßen, wo sie im Sand gespielt haben, in der Mittagshitze einfach ein. Wohl eher zufällig kommt ein Mann mit einem Kalebassenxylophon vorbei, spielt uns ein Ständchen und geht dann wieder weiter.
Gegen Abend brechen wir mit dem Wirt, der zugleich unser Führer ist auf, um uns die Vorratsspeicher anzuschauen, die die bäuerlichen Wara vor vielen Jahren aus Angst vor Überfällen dort unterhalb der mächtigen Felskuppen errichtet haben. Auf dem Hochplateau finden sich auch noch einige Grundmauern der Lehmhütten. Ein imposanter Anblick.
Nachdem wir von unserem wahrhaft schweißtreibenden Ausflug zurückkommen, ist erst einmal Duschen angesagt. Man glaubt gar nicht, wie wenig Wasser man braucht, um aus einem Eimer zu duschen.
Ja, und dann natürlich Abendbrot, eine wahrhaft lukullische Überraschung. Alles wird im nahe gelegenen Hof des Wirtes zubereitet und von seinen Söhnen ins Campement gebracht. Sie machen das sehr geschickt und vor allem sehr stilvoll. Der Tisch wird hübsch gedeckt, sogar Servietten gibt es. Das hatten wir schon seit zwei Wochen nicht mehr. Und dann legen uns die jungen Männer vor: Al dente gekochte Spaghetti mit einer delikaten Tomatensauce und ein Hühnchen.
Fast das beste Essen der ganzen Reise.
Da ich meist sehr früh aufwache schreibe ich täglich die wichtigsten Eindrücke des vergangenen Tages auf. Da pirscht sich ein kleiner Knirps heran. Auf Ansprache reagiert er zunächst nicht, aber über eine leere Wasserflasche – stets ein begehrtes Objekt für die Kinder – entsteht der Anfang einer Beziehung. Erst als ich vom Wirt seinen Namen – André – erfahre, kommen erste Reaktionen. Schließlich legen wir abwechseln mit Kronkorken Muster in den Sand.
Zum Frühstück werden wir ebenfalls von den jungen Männern bedient, Baguette, Butter und Mangomarmelade von den „Heiligen“ (vermutlich sind Nonnen gemeint) zubereitet. Doch Niansogoni hat noch mehr zu bieten. Ein deutscher, katholischer Priester zu dessen Sprengel Niansogoni gehört und der seit mehreren Jahrzehnten hier lebt, gesellt sich zu uns und es entsteht ein lebhaftes Gespräch über die Veränderungen im Land. Ist auch mal wieder schön, ein Gespräch auf Deutsch zu führen.
Freitag, 12.12.2008, Niansogoni – Sindou, 41 Kilometer
Nach dem Gespräch mit dem Pfarrer machen wir uns auf den Weg zurück nach Sindou. Obwohl es der heißeste Tag ist, wie uns auch die Einheimischen später bestätigen, geht es super voran. Diese Alleen sind einfach genial. Ein Mangobaum für die Rast lässt sich überall finden. Am Nachmittag wagen Karin und ich uns alleine zum Einkaufen ins Dorf. Unter reger Beteiligung der Dorfbewohner und deren Hilfe bekommen wir schließlich unser Obst und Gemüse. So führt uns ein Jugendlicher, den wir nach dem Weg fragen bereitwillig zum Markt, den wir leider nicht wiederfinden obwohl Sindou eigentlich recht übersichtlich ist. Da wir keine Bananen bekommen, müssen wir zurück zu Hauptstraße. Dort gibt es zwar Bananen aber keine dazugehörige Verkäuferin. An den Nachbarständen wurde unser Warten und hilflos Herumblicken bemerkt und die freundlichen Burkiner rufen die Verkäuferin herbei. Durch unsere Erfolge fast tollkühn geworden, gehen wir sogar noch ins Lokal um eine kalte Coka zu trinken. Zwei kleine Mädchen schleichen sich an uns heran und betteln um eine Coka. Wir kämpften einen schweren Kampf mit uns und dann siegt der Gehorsam. Schon seit den Vorbereitungen der Reise waren wir ermahnt worden, bettelnden Kindern nichts zu geben. Glücklich sind wir dabei jedoch nicht. Vielleicht hätten wir doch einmal gegen Prinzipien verstoßen sollen.
Am Abend gab es dann ein freudiges Wiedersehen mit Suleymane und Tiémoko. Tiémoko gab uns noch eine Hausaufgabe mit auf den Weg. Er drückte Ruedi sein „goldenes Buch“ in die Hand und bat um eine Beurteilung seiner geleisteten Dienste. Außerdem galt es noch, sein Honorar auszuhandeln. Das ist in Afrika immer eine sehr schwierige Angelegenheit. Entweder wird man mit überzogenen Forderungen konfrontiert oder mit grenzenloser Bescheidenheit, wobei Tiémoko zu den letzteren gehört. Beides macht nicht wirklich froh.
Im Campement setzten wir uns beim Schein des Mondes und der Petroleumlampe noch zu einem Brainstorming zusammen. Was schreibt man denn nun in so ein Referenzbuch? Erst wenn es formuliert werden soll, merkt man wie schwierig es ist.
Ich will es hier einmal ganz einfach machen. Tiémoko war ein Goldschatz. Er hat durch seine geduldigen und umfassenden Informationen meinen Aufenthalt in Sindou zu einem sehr nachhaltigen und ganz besonderen Erlebnis gemacht.
Samstag, 13.12.2008 Sindou – Tengrela, 45 Kilometer
Schon beim Aufbruch merken wir: Das Wetter hat sich verändert, es ist heißer und drückender geworden. Zum Glück fahren wir wieder durch eine wunderschöne Mahagoniallee. Allerdings kämpfen wir mit Gegenwind und einer sehr stumpfen Piste, die kräftezehrend ist. Hinzu kommt, dass der gesamte Mittelteil durch den Autoverkehr zu einer Waschbrettpiste geworden ist, auf der es einem das Gehirn aus dem Kopf schüttelt. Also muss man immer rechts und links nach einem befahrbaren Streifen suchen. Jedes mal wenn ein Auto kommt, heißt es den Atem anhalten, bis sich die Staubwolke wieder verzogen hat. Kommt gar ein Lastwagen muss man in den Graben springen und Kopf und Gesicht mit den Händen bedecken um nicht zu ersticken.
In einer Bananenplantage finden wir wieder unseren Mangobaum für die Mittagspause. Die Landschaft ist besonders schön und abwechslungsreich. Wir fahren durch Reis- und Baumwollfelder, sehen Obstplantagen und immer wieder faszinierende Landschaftsbilder. Auf Schritt und Tritt sehen wir Bilder des afrikanischen Alltags.
Unterwegs muss Ruedi noch eine Ehrenaufgabe erfüllen. Im vergangenen Jahr hatte einer der Mitreisenden vergessen, in der Bar sein Getränk zu bezahlen. Als er erfuhr, dass Ruedi diese Tour wieder macht, hat er ihn eindringlich gebeten, seine Schulden zu begleichen. Das erfordert natürlich auch ein Beweisfoto mitsamt dem Inhaber.
Schon am frühen Nachmittag grüßt der Lac de Tengrela und wir kommen im Campement Kengnigohi an. Hier ist schon alles ein bisschen professioneller. Wegen der Hippos im See kommen hier mehr Touristen an. Auch an den Kindern merkt man das. Zwar stehen sie auch hier in Mengen am Wegesrand aber es geht nicht darum, die fremden Weißen freundlich zu begrüßen, denn es heißt nicht „Babuba“, „ca va“ oder „bonjour“ sondern „cadeau“ und „l´argent“. Auch das Berühren der von uns ausgestreckten Hände sieht hier ganz anders aus. Die Kinder packen zu und versuchen uns vom Rad zu ziehen bzw. sie schlagen einfach zu. Ich trage nach einer Begegnung mit einer kleinen Schwarzen für zwei Tage blaue Striemen auf dem Unterarm davon.
Im Camp gibt es Strom und fließend Wasser in einer Sanitäranlage, ein willkommener Luxus. Und es gibt Moskitos. Der Wirt erklärte uns zwar, es sei für Moskitos viel zu kalt, denen würde das Blut gefrieren und sie würden tot aus der Luft fallen. Wir reiben uns aber trotzdem dick mit Autan ein, und wir tun gut dran.
Im Speiseraum gibt es sogar eine Speisekarte und man kann für den Abend ein sehr leckeres Essen vorbestellen. Der Wirt ist ein echter Patron, der die Zügel straff in den Händen hält, und alles klappt sehr gut.
Für den Abend hat er seinen Sohn engagiert, der uns mit einer Piroge auf den See rudert, damit wir die Hippos sehen können. Behutsam, von fast lautlosen Ruderschlägen angetrieben, gleiten wir durch dichte Seerosenteppiche hinaus auf den immer dunkler werdenden See. Es ist eine völlig ruhige und trotzdem angespannte Stimmung. Werden wir die Hippos zu sehen bekommen? Unser Führer sagt ja, er wisse wo sie sind und rudert zielgerichtet an einigen Fischern vorbei in Richtung des gegenüber liegenden Ufers. Plötzlich in diese Stille hinein legt sich etwas Kühles um meinen Hals und lässt mich zunächst zusammenzucken. Seeschlange?!? Nein unser Pirogenführer hat für Karin und mich eine Seerosenkette genüpft und uns damit geschmückt.
Da – auf einmal durchbricht ein Prusten die Stille. Noch können wir kaum etwas erkennen, aber es ist klar, das sind die Hippos. Es müssen eine ganze Menge sein, denn plötzlich fängt der See an zu brodeln und zu schnauben. Überall tauchen die mächtigen Köpfe und Leiber aus dem Wasser, schnauben und verschwinden so schnell wieder, dass Fotos fast nicht zu machen sind. Eines dieser Urweltungetüme bereitet uns sogar die Freude zu gähnen und sein riesiges Maul weit aufzureißen. Natürlich auch wieder zu kurz für ein anständiges Foto. Durch Ruderschläge ans Boot versucht unser Führer, die Tiere dazu zu verleiten, noch häufiger aufzutauchen, damit wir auch richtig etwas zu sehen bekommen. Nachdem wir genug gestaunt haben und mir schon manchmal ein Schauer über den Rücken gelaufen ist, rudert er uns dann wieder zurück.
Im Camp erwartet uns unser vorbestelltes Essen, sehr gut! Es gibt ein Drei-Gänge-Menü. Als Vorspeise einen delikaten Salat, dann das Hauptgericht nach Wahl und schließlich können wir als Dessert zwischen Ananas und Papaya wählen. Aus gutem Grund entscheide ich mich für Ananas. Hier kann man endlich einmal erleben, wie eine reife Ananas schmeckt.
Sonntag, 14.12.2008, Banfora und Domes, 36 Kilometer
Zum gemütlichen Frühstück gibt uns auch der Wirt die Ehre und sogar eine seiner Frauen mit dem jüngsten Kind darf sich dazu setzen. Das scheint eine besondere Ehre und Ausnahme für sie zu sein, denn sie steht erst sehr lange abwartend neben dem Tisch, bevor sie sich tatsächlich setzt.
Eine kurze Fahrt auf der Piste führt uns zusammen mit hunderten Burkinabé nach Bonfora. Es ist Sonntagsmarkt, der größte im Süden Burkinas. Er ist tatsächlich gewaltig und wirkt schon fast wie eine Urgewalt auf uns. Wir haben Mühe beieinander zu bleiben und kommen so nur sehr langsam vorwärts. Dazwischen versuchen sich dann auch noch Motorräder durch zu schlängeln, geben aber nach einiger Zeit auf. Das Gewühle ist einfach zu dicht. Auf diesem Markt gibt es einfach alles. Nur burkinische Stoffe finden wir nirgends. Alles ist Importware aus China. Der einheimische Markt ist zusammengebrochen, weil man mit den durch die EU und anderweitig subventionierten Preisen anderer Länder nicht konkurrieren kann.
Für die heiße Mittagszeit hat Ruedi einen Geheimtipp. Am Rande der Stadt gibt es eine Molkerei, die herrlichen Joghurt verkauft. Oh, Joghurt in Afrika, da läuft uns gleich das Wasser im Munde zusammen und wir machen uns in glühender Hitze auf den Weg. Dank GPS findet Ruedi auch gleich die Molkerei, es gibt sie noch und sie verkauft auch Joghurt – aber nicht heute. Die Enttäuschung ist riesengroß. Zurück geht es im Zockeltrab. In der Stadt angekommen beschließen wir, diesmal nicht am Straßenrand zu essen, sondern, um der Hitze zu entgehen, ein richtiges Lokal aufzusuchen. Eigentlich mit wenig Hoffnung fragen wir nach, ob es denn Joghurt gibt. Selbstverständlich beschied uns der freundliche Ober. Da war schnell bestellt. Und dann kam der afrikanische Joghurt – wunderbar kühl wunderbar cremig, süß und nach Vanille schmeckend. Ein Hochgenuss!
Dann war der zweite Höhepunkt auf dem Programm, die Domes de Fabedougou. Kilometerlang führte uns die Piste durch Zuckerrohrfelder. Immer wieder einmal ist der Weg von der Bewässerung schlammig. Ich überlege, ob ich mal unter das Geriesel stellen sollte, von wegen Hitze und so. Doch dann verzichte ich doch darauf, da ich nicht weiß, was dem Wasser möglicherweise an Chemie beigemischt ist. Dann tauchten die Domes vor uns auf. Phantastische Felsformationen, die mich teilweise an Kappadokien erinnern. Nach kurzer Kraxelei haben wir die ersten Gipfel erreicht und genießen den herrlichen Rundblick. Von hier oben kann man erst richtig die riesigen Ausmaße der Zuckerrohrfelder erkennen. Vor allem ihre kreisrunde Form, bedingt durch die Bewässerungsanlage wird nur von oben sichtbar. Wie sehr häufig sind wir auch hier ganz alleine und können so den Frieden und die Ruhe genießen und dem Sonnenuntergang entgegenträumen.
Auf dem Heimweg, ganz kurz vor dem Camp ereilt mich das Schicksal in Form eines Sandloches in der Kurve. Da ich zu spät bemerke, dass Ruedi rechtwinklig abbiegt, war ich zu schnell dran, das Vorderrad rutscht weg und ich drohe zu stürzen. Im Bruchteil einer Sekunde zieht vor meinem inneren Auge die abgeschürfte linke Seite vorbei und ich beschließe, das nicht zu mögen. So lasse ich mein Rad einfach los, springe weg von ihm, drehe in schlankem Galopp eine Runde, hebe mein Rad wieder auf, biege den Lenker zurecht, nehme meinen Rucksack, der in weitem Bogen herunter gefallen war, auf den Rücken und fahre wieder weiter. Ich fand große Bewunderung für meinen Stunt, war aber deutlich gewarnt vor zu schnell angegangenen Kurven.
Nach dem Abendessen machen wir noch einen Nachtspaziergang an den See und ergötzen uns an dem Klangteppich, den Abertausende von Fröschen auf der Suche nach einem Partner ausgebreitet hatten.
Montag, 15.12.2008, Cascades de Karfiguela, 20 Kilometer
Heute ist unser mit Spannung erwarteter Badetag in den Cascades. Auf schon von der Domestour bekannten Wegen, durch Zuckerrohrfelder und entlang des Bewässerungskanals ging es flott den Cascades entgegen. Die einzige Schwierigkeit bestand nur darin, die richtige Brücke über den Kanal zu finden. Doch für Ruedis Erinnerungsvermögen und sein GPS stellte das kein Problem dar. Das Kassenhäuschen steht am Beginn eines traumhaft schönen Parks dessen Baumriesen angenehme Kühle und geheimnisvolle Dämmerung verbreiteten. In der Ferne hörte man schon das Wasser rauschen. Einige Kletterpartien, eine Überquerung des Baches und wir befinden uns auf einem Felsplateau unterhalb eines kleinen Wasserfalls der in eine Gumpe rauscht. Große Bäume versprechen Schatten und wir beschließen rasch, hier zu bleiben.
Als erstes galt es natürlich sich umzuziehen und in die Fluten einzutauchen. Schöner kann es am Meer auch nicht sein. Mit angebrachter Vorsicht, die Steine waren teilweise glitschig, erkundeten wir das Wasser, stellten uns unter die Dusche des Wasserfalls, spritzten uns gegenseitig an und hatten einen Heidenspaß im herrlich erfrischenden aber nicht kalten Wasser. Als nächstes war dann das Suchen eines einigermaßen bequemen Platzes dran, an dem man lesen oder dösen konnte. Insgesamt war es ein herrlich erholsamer und erfrischender Tag von dessen Kühle wir gerne etwas für die nächsten Tage mitgenommen hätten. Auch hier zog sich jeder zu sich selbst zurück und nahm sich auch mal eine Auszeit von der Gruppe. Die gemeinsamen Aktivitäten beschränkten sich auf das Futtern des mitgebrachten Proviants und wiederholtem Plantschen im Bach. Meine Gedanken gehörten vor allem dem immer näher rückenden Ende dieser interessanten, anregenden, lehrreichen und manchmal auch abenteuerlichen Reise.
Ein letztes Mal genossen wir die routinierte Gastlichkeit des Camps und gingen früh zu Bett da wir einen harten Tag vor uns hatten.
Dienstag, 16.12.2008, Tengrela – Bobo Dioulasso, 95 Kilometer
Da wir möglichst lange in der frischen Morgenluft radeln wollten, hatten wir das Frühstück schon für sechs Uhr bestellt und kamen auch zeitig los. Bis Banfora gab es die schon bekannte Piste und dann kam Teerstraße. 95 Kilometer auf rauem Asphalt, kein Schatten, hoher Rollwiederstand und ständig bergauf und bergab. Die längste Steigung zog sich über sieben Kilometer hin. Immer wenn ich nach vorne blickte und die nächste Steigung sah, war ich schon bedient. Es waren keine besonders starken Steigungen aber so furchtbar viele, insgesamt halt ca. 45 Kilometer! Dabei kamen wir recht flott voran, machten erst an einem Bauernhof und später in einem Dorf, durch das wir kamen, Pause. Kalte Coka, Omelette – na klar. Und schon ging es wieder weiter bis zum gewünschten Mangobaum, wo wir eine längere Rast einlegten.
Endlich, endlich waren Bobo und das Hotel erreicht. Beim Abendessen schüttelte es mich schon bei dem Gedanken an Essen. Afrikanischer Joghurt war das einzige was mich noch reizen konnte. Wie schon bekannt war er einfach köstlich. Da ich jedoch wieder einmal Angst hatte, ich könnte über Nacht verhungern, bestellte ich mir gleich noch einen zweiten. Er sei ein bisschen kalt, meinte die Bedienung, als sie ihn mir brachte. Wie sich zeigte, hatte sie dabei deutlich untertrieben. Er wäre leicht für Cassata durchgegangen. Und gut getan hat er mir auch nicht. Die ganze Nacht kämpfte ich mit einem Gemisch aus Fett, Zitronensaft, Bier und eisigem Joghurt.
Mittwoch, 17.12.2008, Bobo
Auf schwachen Beinen mache ich mich an unser Nachmittagsprogramm mit Amadou, einem Führer, den Karin und Witek bei unserem ersten Aufenthalt in Bobo im Internetcafe kennen gelernt hatten.
Der erste Besuch gilt der alten Moschee, die mit ihrer interessanten Bauweise sehr imposant ist. Amadou ist uns behilflich unsere Kopftücher richtig zu drapieren. Dabei gibt er sich redlich Mühe, uns wie kasachische Bauersfrauen aussehen zu lassen. Innen ist die Moschee völlig kahl und nüchtern. Dafür gibt uns der Muezzin eine eindruckvolle Kostprobe seines Rufes per Mikrofon. Danach brechen wir zu einem Rundgang durch die Altstadt auf.
Auch hier köchelt überall das Hirsebier und Karin erklärt sich bereit, es auch einmal zu kosten. Der einzige Unterschied ist ein Bachlauf, der sich durch die Altstadt schlängelt. Mit Kloake wäre er eigentlich besser beschrieben. Dessen ungeachtet, waschen Frauen hier ihre Wäsche, Kinder baden und Kühe trinken. Ich schaue lieber nicht so genau hin, was da im schmutzigen Wasser so alles dahintreibt.
Heute haben wir noch ein dickes Programm. Erstens müssen die Räder zum Busbahnhof gebracht werden und abends ist noch eine Theatervorführung geplant. Es scheint so, als ob noch möglichst vieles in die letzten Tage gepackt werden soll. Angesichts meiner schlechten Befindlichkeit freut mich das gar nicht.
Also erst einmal zum Busbahnhof. Wieder die Räder demontieren. Das große Interesse der Anwesenden ist uns wie immer dabei sicher. Manchmal, wenn es z. B. nicht gleich gelingt, die Bremse auszuhängen, schiebt sich eine helfende, schwarze Hand dazwischen. Die Räder sollen mit dem Abendbus nach Ouaga geschickt werden, der ist nicht so voll. Mit großer Sorge geben wir unsere Radtorsos ab und hoffen inständig, dass wir sie heil wiedersehen. Dann geht es mit dem Taxi zurück zum Hotel. Nun ein rasches Abendessen, denn um halb acht Uhr soll uns schon wieder der Regisseur des Theaterstücks, abholen. Kein Mensch weiß, wo die Vorstellung stattfinden wird.
Es wird halb neun bis er kommt, sein Moped hatte den Geist aufgegeben. Schließlich fahren wir wieder mit einem Taxi hinter ihm her. Als wir am Aufführungsort ankommen sehen wir ein bemaltes Bettlaken, Stühle (für wen sind die wohl?) und jede Menge Kinder. Es ist schon fast peinlich, als wir auf den Stühlen Platz nehmen. Es geht jedoch noch lange nicht los. Erst einmal muss in der Stadt eine Neonröhre besorgt werden, damit auch Licht auf die Bühne scheint. Um die Zeit zu überbrücken heizt der Regisseur zunächst einmal seine Zuhörerschaft – noch sind es nur Kinder – an. Wir verstehen kein Wort, weil alles im afrikanischen Dialekt gesprochen wird, merken aber an der zunehmenden Lautstärke der Sprechchöre und des rhythmischen Klatschens, dass er die Kinder erreicht. Dann bekommen sie auch ein erstes Mal Gelegenheit, herzlich zu lachen. Auch wir sollten einbezogen werden und ebenfalls mitsprechen. Da wir aber nichts verstanden hatten, versäumten wir unseren Einsatz und unser klägliches Echo auf seine Aufforderung versickerte im Gelächter. In diesem Jahr ist das Thema der Aufführung „Kinderhandel“ – ein dringendes Problem, weil Menschenhändler vorwiegend aus Elfenbeinküste unter Vorspiegelung falscher Tatsachen den armen Eltern ihre Kinder abkaufen.
Dann kommt die Neonröhre und es kann endlich losgehen. Obwohl wir nichts verstehen können, ist es leicht, dem Verlauf der Handlung zu folgen, so ausdruckstark spielen die Akteure. Inzwischen hat sich der Zuhörerkreis vervielfacht und immer mehr Erwachsene kommen um das seltene Spektakel zu beobachten. Am Ende des Stücks holt Abou nochmals alle Schauspieler auf die Bühne, stellt sie mit Namen vor und lässt sie von den Zuschauern in „gut“ oder „böse“ einteilen. Eine sehr interessante Art, das Stück auch noch didaktisch aufzuarbeiten.
Zurück im Hotel, haben wir noch Lust auf ein Bier. Die Hotelbar hat schon geschlossen, unser Straßencafe auch. Also kaufen wir im Supermarkt gegenüber unser Getränk. Leider gibt es nur Dosenbier, doch in der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen. Erst als wir die Dosen öffnen, sehen wir dass es Starkbier ist – 10 Prozent. Das ist eine echte Packung und verleiht uns die nötige Bettschwere.
Donnerstag, 18.12.2008 Busfahrt Bobo – Ouaga
Im Busbahnhof von Bobo angekommen kontrollieren wir erst einmal, ob nicht unsere Räder noch herumstehen, vielleicht auch nur Einzelteile davon. Doch wir können nichts entdecken, also dürfen sie schon in Ouaga sein. In diesem Bus funktioniert die Klimaanlage normal, sodass niemand frieren muss. Ansonsten verläuft die Fahrt ebenso kurzweilig wie die erste. Nur liegt diesmal bei mir eine Wehmut über dem Geschehen. Es ist einfach schon ein Abschied. Wo sind nur die drei Wochen geblieben?
In Ouaga angekommen, finden wir unsere Räder liebevoll auf einen Haufen geworfen und machen uns an den Zusammenbau. Mittlerweile geht das schon ganz routiniert. Auch diesmal sind nur die Schutzbleche verbogen. Der Hinweis auf eine nächste Afrikatour heißt: Schutzbleche zu Hause lassen, hier braucht man sie nicht. Die Rückfahrt zum Hotel ist ebenfalls problemlos. Auch an den Verkehr habe ich mich – fast – schon gewöhnt. Es ist halt schon ein Heimkommen. Zum Abendessen gehen wir in ein senegalesisches Restaurant. Dort ist das Essen deutlich schmackhafter. Dann geht es schon wieder ins Hotel, es muss ja noch gepackt werden, denn morgen haben wir noch ein starkes Programm.
Freitag, 19.12.2008 Ouaga
Heute ist unwiderruflich unser letzter Tag. Den Beginn dieses Tages sollte die Königszeremonie bilden. Das ist eine echt afrikanische Geschichte.
In grauer Vorzeit gab es hier eine starke Königin, die Zwillinge auf die Welt brachte. Da sich die beiden nicht einigen konnten, wer der künftige König sein sollte, drohte Krieg. Alle Vorbereitungen wurden dafür getroffen. In letzter Minute gelang es jedoch den Weisen des Stammes, den König dazu zu überreden, die Entscheidung ob Krieg sein sollte oder nicht, um eine Woche zu verschieben. Seitdem findet jede Woche am Freitag eine Königszeremonie statt unter Beteiligung der Ältesten des Stammes aber auch der politischen Mandatsträger. Und jede Woche wird das Szenarium nachgespielt, und jeden Freitag wird die Entscheidung wieder um eine Woche verschoben.
Noch eine afrikanische Geschichte: Wer ist der Älteste wenn Zwillinge geboren werden? Nein, es ist nicht der Erstgeborene. Der hat den Jüngeren vorgeschickt um nachzuschauen ob man denn wirklich auf die Welt kommen kann.
Da die Auskunft darüber, wann die Zeremonie stattfindet, stark schwankte, wir aber nichts versäumen wollten, verließen wir das Hotel sehr früh, noch ohne Frühstück. Als wir auf Festplatz feststellten, dass sich noch nichts rührt, ließen wir uns in einer Bar in Sichtweite erst mal das übliche Frühstück schmecken. Ein älterer Herr, sehr festlich gekleidet, gesellte sich zu uns und trank ebenfalls Kaffee. Der Inhaber der Bar informierte uns darüber, dass das einer der Weisen sei. Nach einiger Zeit schwang dieser sich auf ein Moped und fuhr in Richtung Königspalast davon. Das war auch für uns das Signal zum Aufbruch. Doch es dauerte noch einige Zeit bis es wirklich losging. Ein Pferd, prächtig aufgeputzt, wurde herbeigeführt, Schulklassen und Kindergartengruppen kamen mit ihren Begleitern heran, und das von vielen Ordnern scharf bewachte Gelände um den quadratischen Festplatz füllte sich zusehends. Immer mehr festlich gekleidete Männer kamen herbei und setzten sich auf die rituell vorgeschriebenen Plätze. Der König tauchte kurz auf, wurde von mehreren Weisen unter Trommelrhythmen beraten und verschwand wieder. Das Pferd wurde weggeführt und mit einem gewaltigen Kanonenschlag – der allerdings erst beim zweiten Mal klappte – endete die Feierlichkeit. Bis zum nächsten Freitag.
Wir holten unsere Räder und machten uns ein letztes Mal auf den Weg durch Ouaga, hinaus zum „Village Artisanal“, einem staatlich geförderten und kontrollierten, gehobenen Souvenirmarkt mit Ausstellungshalle und angeschlossenen Ateliers, in denen man den Künstlern bei der Arbeit zusehen konnte. Lange hatten wir diesbezüglich sehr enthaltsam gelebt, denn die Frage hieß stets, will ich denn wirklich noch etwas mit mir herumschleppen. Dies galt nun nicht mehr. Jetzt war das Problem eher, wie kriege ich das in Fahrradpacktaschen. So blieb denn mancher Wunsch unerfüllt. Aber insgesamt fand doch jeder etwas in der großen und meist guten Auswahl.
Auf dem Rückweg radelten wir noch durch „Ouaga 2000“, ein Regierungswettbewerb für moderne Architektur. Wir sahen zum Teil stattliche Villen, viele noch Rohbau, andere sichtbar bewohnt. Insgesamt ist da noch viel zu tun. Wir fuhren eine Runde in „Ouaga 2000“ herum und machten uns dann wieder auf den Weg zurück ins Hotel. Dort hieß es erst einmal duschen. Anschließend machten wir uns auf den Weg in ein sehr schönes Fischlokal wo unser Abschiedsessen stattfinden sollte. Am Eingang suchten wir unseren Fisch aus – „Kapitänsfisch“ sollte es sein. Es kam eine Riesenplatte für uns vier. Da hieß es nun die Taschenlampe einschalten, damit wir auch sehen konnten was wir da Köstliches bekamen. Und dann wurde ein Platz vereinbart, an dem wir die Gräten ablegen würden. Und nach dem Händewaschen mit Wasserkessel und Auffangschale konnte es dann losgehen. Das war wirklich das beste Essen der ganzen Reise.
Ja, auch das Festessen war irgendwann einmal zuende, und allmählich breitete sich Unruhe aus. Also machten wir ein letztes Mal auf den Weg zum Hotel, wo wir uns auf der Dachterrasse verabredeten. Dort sollten die Abschiedsworte gesprochen werden und Ruedi sein Notfallpaket erhalten.
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Wenn er dies nach Afrika tut, dann fehlen häufig die Worte um die faszinierenden Eindrücke wieder zu geben. Deshalb will ich es auch gar nicht erst versuchen. Jeder von uns trägt sie in seinem Kopf und seinem Herzen.
Daneben hat jeder von uns noch seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht und kann daraus seine Lehren ziehen.
– Wir alle haben gelernt, wie wenig man braucht. Da reicht locker ein einziger Wecker und 1 Fotoapparat für vier Personen, und ein Schloss für 3 Fahrräder, sogar das Shampoo kann man teilen.
– Witek hat gelernt, dass Kamera und Ladegerät eine untrennbare Einheit bilden und dass Fahrradschloss und Ständer nicht umsonst erfunden wurden.
– Ruedi wird wissen, dass man sich auf Technik nicht verlassen kann. Ich sage nur Handy und Kamera. Sicherlich ist das für einen reinen Techniker eine sehr schwierige Erkenntnis. Für Afrika wird er gelernt haben, dass Honorarverhandlungen mit Führern sehr langwierig sein können, wenn es keine klaren Absprachen gibt.
Nach diesem eher launigen Abschiedzeremoniell wurde es ernst. Um Mitternacht packten wir unsere Siebensachen samt den Kartons in ein Taxi. Das war auch noch ein echt afrikanisches Schauspiel. Das Taxi, das kam, hatte keinen Dachträger. Zunächst versuchte der Fahrer allen Ernstes, die Kartons in den Kofferraum zu stecken, obwohl schon auf den ersten Blick klar war, dass das unmöglich gehen konnte. Dann lud er die Riesenschachteln aufs Dach und kramte aus den Tiefen seiner Blechkutsche einen Kälberstrick hervor. Da fuhren wir ab. Nach uns die Sintflut oder wie man in Burkina sagt: pas de probleme.
In der dämmerigen Abflughalle (Scheune könnte man auch dazu sagen) mussten nun die Räder wieder einmal demontiert und verpackt werden. Ich musste meinen Karton mittels fast einer ganzen Rolle Tape flicken, da er beim Hintransport fürchterlich gelitten hatte. Ganz offensichtlich hatte jemand beim Zoll den Karton aufgerissen um zu kontrollieren, ob da wirklich nur ein Rad drin war. Ruedi hatte zum Glück die Superidee, jetzt den verantwortlichen Beamten zu holen, damit der uns beim Einpacken der Räder zusehen und sich davon überzeugen konnte, dass wir wirklich nur Räder und nicht vielleicht Waffen einpacken. Er half mir dann sogar beim Verschließen des Kartons und hielt die etwas schlabberigen Seitenteile zusammen, damit ich kleben konnte.
Rechtzeitig zum Einchecken waren wir – schweißgebadet – fertig, und es konnte auf den langen, langen Heimweg gehen.