Äthiopien 2004 – Afrika anders erleben: Ökotourismus im Hochgebirge von Äthiopien
von Michael Franke
Nur wenige Reisende besuchen Äthiopien; Sie folgen meist in organisierten Touren den Spuren der 2000 Jahre alten Geschichte und Kultur, d.h. sie reisen auf der sogenannten historischen Route, welche die Städte Axum, Lalibela oder Gondar umfasst.
Ein ehrgeiziges Naturschutz- und Entwicklungsprojekt versucht einen kleinen Teil der Reisenden in die Bale Berge, etwa 300 km südlich von Addis Abeba zu locken. Das Projekt hilft die Natur zu schützen und die Armut in diesem Gebiet zu reduzieren indem es den Bewohnern des Waldes eine zusätzliche Einkommensquelle eröffnet. Zuerst einmal hat das Projekt dafür gesorgt, dass die lokale Bevölkerung auch die rechtlich anerkannten Nutzer der Region sind. Im Gegenzug müssen sie den Waldbestand erhalten und die Zahl der Siedlungen begrenzen. Baumschulen und Aufforstungen helfen dabei.
Mit dem Aufbau eines Trekkingprogrammes, das Besucher auf Pferden durch den Wald, auf die Berge und zu fünf Trekkinghütten führt, kommen ein paar tausend U.S. Dollar an jährlichem Einkommen dazu, das den hundert Pferdebesitzern, den Führern und den Pächtern der Gästehütten sowie den Familienangehörigen zugute kommt. Darüber hinaus gehen 20% der Übernachtungseinnahmen in einen Dorfentwicklungsfond, aus dem schon mehrere Schulprojekte finanziert werden konnten.
Wir waren im Oktober 2004 mit sechs Leuten im Rahmen einer dreiwöchigen Fahrradreise in den Bale Bergen. Die Fahrt dorthin, durch das äthiopische Hochland und später die Strecke durch das Rift Valley und an den Gurage Bergen vorbei, ist eine einzigartige interessante Tour.
Schon die erste Strecke von Addis nach Nazret führt in etwa 2100 m Höhe auf der Hochebene, ständig mit Blick auf die Berge rechts und links der Strasse. In Debre Zeyt erleben wir Kraterseen mitten in der Stadt und fahren weiter durch fruchtbares Land, die Kornkammer Äthiopiens. Überall wird das Teff Getreide angebaut. Die rechtwinkling ausgerichteten Felder leuchten in allen Farbschattierungen von gelb bis grün. Von einem Ernteteam werden wir zum Fotografieren herangewunken. Junge Männer schneiden das dünne Gras mühsam mit einer Sichel.
Wir machen Station in Sodore, ein Erholungsort an den Ufern des Awash Flusses. Das Wasser der heissen Quellen geht direkt ins Schwimmbecken neben dem Restaurant. Der Fluss, die Felsen, Affen und zahlreiche Vögel ergänzen die Attraktion des Geländes.
Es geht weiter durch fruchtbares Land. Gelegentlich blicken wir in ein grünes Tal mit Fluss, Kühen, Weiden, Felsen – es könnte auch irgendwo in den Alpen sein. Bald geht die asphaltierte Strasse in eine Piste über und steigt auf 3.500 m an, Grund genug, hier in einen Bus zu steigen. Wir überqueren das Hochplateau zwischen den Kaka und Chilao Bergen, beide über 4.000 m hoch. Ein phantastisches Licht und eine unbekannt klare Luft erwartet uns nach dem Aussteigen auf der Höhe. Auf der Brücke über den mächtigen Wabe Shebele Fluss werden wir von einem älteren Mann in ein Gespräch verwickelt. Warum Äthiopien mit seiner jahrtausendalten Kultur heute eines der ärmsten Länder der Welt sei und was wir tun wollen um den Menschen hier zu helfen, will er von uns wissen. Die direkte Konfrontation mit der Frage von Armut und Reichtum in der Welt ist irritierend und kann unangenehm sein. Wer auf einer Reise tatsächlich Land und Leute kennenlernen will, hat allerdings reichlich Gelegenheit, sich mit den Menschen zu unterhalten. Wo immer wir anhalten und Pause machen, sind wir schnell in ein Gespräch eingebunden.
Jetzt sind wir in Dodola, Ausgangspunkt zum Pferdetrekking in den Bale Bergen. Drei Tage sind wir mit unserem Führer Ramato unterwegs. Es ist einfach genial, mit den Pferden auf kleinen steilen Wegen durch den Wald zu klettern. An manchen Stellen steigen wir ab und führen die Pferde. Am Nachmittag erreichen wir das Camp in 3.460 m Höhe. Nach einem Spaziergang in der Umgebung geniessen wir am frühen Abend den äthiopischen Rotwein, blicken verträumt ins Tal und sind schon wieder fasziniert von diesem besonderen Licht kurz bevor die Sonne untergeht.
Der Wald den wir heute durchquert hatten, war wie in einem Märchen. Eine Alpenlandschaft mitten in Afrika; Blumenwiesen mit Bächen und bunten Vögeln, zwischendurch Rundhütten-Dörfer, Riesen-Wacholder, dicke Mooslappen und Flechten, baumhohe Disteln und meterhohe Erika Pflanzen.
Die Unterkunft ist eine einfache Hütte, zwei Räume mit je zwei Etagenbetten sowie ein kleiner Aufenthaltsraum mit Kochgelegenheit und einem Ofen – in dieser Höhe wird es nachts erbärmlich kalt. Zum Frühstück am nächsten Morgen tragen wir sofort Tisch und Stühle in die Sonne …
Im Anschluss an die Bale Berge geht es weiter in Richtung Grabenbruch. Ein zweites Mal kommen wir zu einem Erholungsort mit heissen Quellen. Auf Pistenstrecke fahren wir in einer tropisch grünen Umgebung. Wir sehen Kaffeesträucher, entdecken Passionsfrucht, Bananen, Guaven, Zuckerrohr und Avocadobäume. Wir wundern uns, warum hier Kaffeebohnen auf der Strasse ausgebreitet liegen und versuchen mühsam, die Flächen zu umfahren. Bis wir merken, dass die Bauern ihre Ernte extra auf dem Weg ausbreiten, damit die darüber fahrenden Autos beim Schälen der Bohnen helfen.
Wir passieren mehrere schöne Dörfer und erreichen gegen Mittag die Stadt Awasa, am kleinsten See des Rift Valley gelegen. Am Rand des Sees machen wir einen Spaziergang, sehen Seeadler, Reiher, Störche, Marabus und jede Menge weitere Vögel. Von den Hippos im See sind mit viel Phantasie ab und zu die beiden Ohren und eine prustende Wasserfontäne auszumachen. Den Nachmittag verbringen wir im Ort, geniessen Kaffee und Kuchen in einem Terrassencafé und probieren wieder einmal die verschiedenen Säfte die ein Mixer aus Avocado, Papaya oder Ananas zaubert.
Bald sehen wir in der Landschaft vor uns die nächsten Seen schimmern und später auch den Langano See mit seinem rostbraunen Wasser; kurz darauf sind wir schon zum Schwimmen drin. Beim Verlassen des Ortes kreuzen Hirten mit einer riesigen Herde von Dromedaren unseren Weg; sicherlich mehr als 100 Tiere führen sie mit sich.
Wir wechseln nach Westen auf die Strasse unterhalb der Gurage Berge. In einer traumhaft schönen Landschaft geht es zuerst gut bergab. Doch bald ist der Traum zu Ende und es geht ordentlich hoch. So geht es den ganzen Tag weiter. Die Gegend hat nur wenig touristische Infrastruktur. Das Restaurant am Nachmittag und die Unterkunft des Abends haben kaum ihren Namen verdient. Doch die Freundlichkeit der Leute macht alles wieder wett. Da wird schnell jemand von der Strasse geholt um beim Übersetzen und Erklären zu helfen, da wird für die Vegetarier in der Gruppe ein extra Gericht gekocht, wir dürfen in der Küche zusehen und finden uns abends in einem nach aussen hin nicht sichtbaren Raum ein um den selbstgebrauten Honigwein zu probieren. Nur mit der Akzeptanz der Sanitäranlagen, da hatten wir Europäer heute unsere Probleme.
Zurück in Addis Abeba erkunden wir die Stadt per Rad und zu Fuß. Gute Restaurants am Abend, der vielleicht grösste Markt Afrikas („Mercato“), Gespräche mit Mitarbeitern aus Projekten der Entwicklungszusammenarbeit und kleine Erledigungen stehen auf dem Programm.
Diese Reise in Äthiopien war eine abenteuerliche und herausfordernde Tour die uns sehr gut gefallen hat. Die Erwachsenen haben wir ausnahmslos als sehr liebe nette Leute kennengelernt. Die Kinder hingegen waren oft ganz schön nervig, z.B. wenn sie einem ihr ewiges „you you where are you go?“ hinterher rufen. Das äthiopische Hochland bietet eine tolle Landschaft, ein ganz besonderes Licht und viel frische Luft, zumindest in den Bergen, da wo keine Autos fahren.